Die 30. UN-Klimakonferenz (COP30) in Belém ist vorbei. Als „COP des Amazonas“ sollte sie die Natur in den Mittelpunkt rücken und einen historischen Wendepunkt markieren. Doch nach zwei Wochen intensiver Verhandlungen und einer Verlängerung bis in den Samstag hinein bleibt ein gemischtes Gefühl zurück. Präsident Lula da Silva wollte diesen Gipfel nutzen, um Brasilien als ökologische Supermacht zu positionieren. Geopolitische Spannungen und das Fehlen wichtiger Akteure – wie einer offiziellen US-Delegation unter der Trump-Regierung – dämpften jedoch die Ambitionen. Ein analytischer Blick auf Systemgrenzen, Ambitionen und die Frage, was nach Belém bleibt.
Die COP30 im Spannungsbogen der Weltpolitik im Herzen des Amazonas
Belém, das am Rande des Amazonasbeckens liegt, war zwei Wochen lang der Mittelpunkt der Weltpolitik. Die COP30 sollte mehr sein als eine weitere Klimakonferenz, sie sollte zu einem Symbol werden. Ein Ort, an dem sich die globale Gemeinschaft daran erinnert, dass Klimapolitik nicht abstrakt ist, sondern buchstäblich im Erdsystem wurzelt, das uns trägt. Doch als die Verhandlungen am Freitagabend überzogen und schließlich erst am 22. November endeten, war bereits spürbar, dass auch diese Konferenz nicht den einen historischen Wendepunkt liefern würde, den viele erhofft hatten.
Präsident Lula da Silva hatte die Bühne genutzt, um Brasilien als ökologischen Akteur von globalem Format zu präsentieren. Geopolitische Verschiebungen – insbesondere die Abwesenheit einer offiziellen US-Delegation unter der Trump-Regierung – hatten jedoch die Verhandlungskraft vieler Allianzen geschwächt. Inmitten dieses Vakuums entstand ein Ergebnis, das sowohl Ambition als auch Vorsicht ausdrückt: die „Mutirão-Entscheidung“. Sie wirkt wie ein Spiegel der globalen Klimapolitik im Jahr 2025: kollektiver Anspruch, fragmentierte Umsetzung.
Zwischen Hoffnung und Hader: Die Bilanz der COP30 in Belém
Der Titel des Abschlussdokuments ist programmatisch. „Mutirão” ist ein brasilianischer Begriff für kollektive Gemeinschaftsarbeit, bei der alle mit anpacken, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen. Zum Abschluss der 30. Weltklimakonferenz (COP30) im brasilianischen Belém gelang es den Delegierten jedoch lediglich, sich auf einen Minimalkompromiss zu verständigen. Das Dokument bekräftigt das 1,5-Grad-Ziel und legt den Fokus auf die Umsetzung statt auf neue Ziele. Es etabliert einen Pfad für Klimafinanzierung und Anpassung, bleibt in Bezug auf den Ausstieg aus fossilen Brennstoffen jedoch vage.
Was beinhaltet die Entscheidung?
- Die erneute Bestätigung des 1,5-Grad-Ziels ist zwar wichtig, aber auch erwartbar.
- Ein deutlicher Fokus auf Umsetzung statt auf neue Ziele. Damit verschiebt sich die narrative Linie der Klimapolitik von der Vision zur Ausgestaltung.
- Ein neuer Pfad für Klimafinanzierung und Anpassung.
- Allerdings bleibt der Ausstieg aus fossilen Brennstoffen vage.
Formulierungen wie „Übergänge“ oder „Transitions“ markieren keine radikale Kurskorrektur, sondern einen Kompromiss, der diplomatische Mehrheiten sichert, ohne entscheidende Akzente zu setzen.
Die „Mutirão-Entscheidung“ wirkt somit wie das Produkt einer Weltgemeinschaft, die zwar weiß, was nötig wäre, aber nur das beschließt, was politisch gerade noch tragfähig ist.
Die Erfolge: Fortschritte, die Bestand haben könnten.
Trotz aller Enttäuschung gab es Wendepunkte, die politisch und praktisch relevant sein werden – wenn auch nur im Detail und nicht im großen Bild.
Klimafinanzierung: Das 1,3-Billionen-Ziel
Die Einigung, bis 2035 jährlich 1,3 Billionen US-Dollar für Entwicklungsländer zu mobilisieren, ist ein Fortschritt. Sie verschiebt die Größenordnung der globalen Klimafinanzierung und eröffnet Handlungsspielräume, vor allem für Anpassungsmaßnahmen und den Aufbau klimafester Infrastruktur.
Kritiker betonen jedoch, dass diese Mittel bereits heute benötigt werden – und nicht erst in einem Jahrzehnt. Die physikalische Realität klimatischer Kipppunkte lässt sich nicht an diplomatische Zeitrahmen anpassen.
Waldschutz und naturbasierte Lösungen
Wenn im Amazonas über die Zukunft der Wälder gesprochen wird, entsteht unweigerlich die Erwartung, dass Waldschutz nicht nur erwähnt, sondern strategisch verankert wird. Die COP30 lieferte zumindest Ansätze:
- neue Allianzen zum Waldschutz
- Finanzierungsmodelle für Staaten, die Wälder erhalten,
- sowie eine stärkere Betonung naturbasierter Lösungen im globalen Rahmen.
Auch wenn diese Initiativen keinen strukturellen Wandel garantieren, markieren sie doch eine Verschiebung hin zu integrativeren Ansätzen, die Ökologie und Ökonomie verbinden.
Gender Action Plan (GAP)
Der Abschluss eines neuen Gender-Aktionsplans ist ein wichtiges Zeichen. Frauen und Mädchen, die oft besonders anfällig für klimabedingte Risiken sind, sollen stärker an Entscheidungs- und Umsetzungsprozessen beteiligt werden. Das Thema ist nicht randständig, sondern ein zentraler Faktor gesellschaftlicher Resilienz.
Die Belém-Erklärung zu Düngemitteln
Technisch, aber relevant: Eine verstärkte globale Kooperation zur Reduktion von Emissionen in der Düngemittelproduktion sowie zur Verbesserung der Nährstoffeffizienz ist notwendig. Angesichts des hohen Emissionsbeitrags der Landwirtschaft ist dies ein strategischer Schritt, der langfristig Wirkung zeigen kann.
Schattenseiten: Die Niederlagen und Kontroversen von Belém.
Wo Fortschritte sichtbar sind, bleiben die systemischen Lücken dennoch offensichtlich.
Das fossile Schweigen: kein verbindlicher Ausstieg aus den fossilen Energiequellen.
Die größte Enttäuschung ist, dass das Abschlussdokument hier auf eine klare Sprache verzichtet. Der Kern des Problems unberührt blieb. Trotz des massiven Drucks der EU, der Inselstaaten und der Wissenschaft fehlt im Abschlusstext das Wort „Phase-out“ (Ausstieg). tattdessen spricht das Dokument vage von „Übergängen“ (Transitions). Die Blockade durch Länder wie Saudi-Arabien ist zwar nicht überraschend, angesichts der wissenschaftlichen Evidenz jedoch schwer zu ignorieren. Insbesondere kleine Inselstaaten und Wissenschaftsverbände reagierten scharf.
“Ohne einen fossilfreien Pfad bleibt das 1,5-Grad-Ziel eine diplomatische Formel, keine realpolitische Strategie.”
Für Beobachter ist das eine kognitive Dissonanz: Man einigt sich darauf, die Symptome zu lindern (durch Geld und Anpassung), weigert sich aber, die Ursache (fossile Verbrennung) zu stoppen. Die Mutirão-Entscheidung nähert sich diesem Konflikt jedoch nicht mit der notwendigen Klarheit.
Die Ambitionen der NDCs (Nationally Determined Contributions) sind schwach.
Die Klimapläne vieler Staaten bleiben hinter den Anforderungen zurück. Eine ehrliche Bestandsaufnahme zeigt: Die Lücke zwischen den eingereichten Plänen und dem 1,5-Grad-Pfad vergrößert sich statt zu verringern. Ein vages Bekenntnis zu „Reduzierungen bis 2035” ersetzt keine quantifizierten Verpflichtungen.
Das geopolitische Vakuum
Die Abwesenheit einer offiziellen US-Delegation unter der Trump-Regierung war mehr als ein diplomatisches Signal: Sie destabilisierte Koalitionen, die in früheren Jahren entscheidend für Fortschritte waren. Die EU bemühte sich, eine Führungsrolle einzunehmen, während China auf pragmatische Zurückhaltung setzte. Doch ohne die USA bleibt das Kräftefeld der globalen Klimapolitik asymmetrisch.
Kritische Stimmen und Gegenforderungen: Die laute Zivilgesellschaft
Belém war nicht nur Verhandlungs-, sondern auch Resonanzraum für Frustration, Wut und Hoffnung. Die Kritik war deutlicher als bei vielen früheren COPs.
a) Der Verrat an der Wissenschaft
Ein breites Bündnis aus NGOs und Wissenschaftlern bezeichnete das Fehlen eines Ausstiegsplans als physikalische Realitätsverweigerung. Ohne einen schnellen Stopp fossiler Energien ist das im selben Text beschworene 1,5-Grad-Ziel Makulatur.
b) Schuldenfalle statt Hilfe „Grants, not Loans“
Länder des Globalen Südens kritisieren das 1,3-Billionen-Ziel scharf. Der Grund: Ein Großteil dieser Summe soll über Kredite und private Investitionen fließen und nicht als direkte Zuschüsse. Die Sorge ist berechtigt, dass Klimahilfe so zur nächsten Schuldenkrise führt. Die Forderung lautet daher klar: „Grants, not Loans“.
c) Indigene Perspektiven: „Wir sind nicht nur Deko“
Indigene Vertreter*innen, wie die der Munduruku oder APIB, fühlten sich oft wie folkloristisches Beiwerk missbraucht. Während auf den Bühnen ihre Kultur gefeiert wurde, wurden in den Hinterzimmern Kohlenstoffmärkte diskutiert, die ihre Landrechte bedrohen könnten. Ihre Kernforderung, die vollständige Demarkierung indigener Territorien als effektivsten Klimaschutz, wurde vom Gastgeber Brasilien, der weiterhin Öl an der Mündung des Amazonas fördern will, nur selektiv wahrgenommen.
d) Green Grabbing: Zivilgesellschaft und Menschenrechte
Die begrenzte Präsenz der Zivilgesellschaft und der hohe Einfluss fossiler Lobbygruppen sorgten für spürbare Spannungen. Die Zivilgesellschaft warnte lautstark vor Lösungen wie massiver Aufforstung in Monokulturen oder Geoengineering, die unter dem Deckmantel des Klimaschutzes zu Landraub führen könnten. Der Ruf nach einem echten „Just Transition Mechanism“, der die Menschenrechte in den Mittelpunkt stellt, war unüberhörbar.
Für eine strukturierte Einordnung hier die Abschlussdokumente im Überblick:
1. Mutirão-Entscheidung: Politische Hauptrahmenvereinbarung zur Umsetzung des Pariser Abkommens.
2. Belém-Erklärung: Verbindet Klimaschutz mit Ernährungssicherheit – ein wichtiger Impuls für die Verzahnung sozialer Fragen mit Klimapolitik.
3. Just Transition Mechanism: Mandat für einen Prozess, der soziale Gerechtigkeit und Klimaschutz verbinden soll – ein Thema von wachsender Bedeutung.
Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte seitwärts
Die COP30 hat zwar bewiesen, dass der multilaterale Prozess noch lebt, allerdings nur noch schwer atmend. Für den Amazonas war es ein Moment der globalen Sichtbarkeit. Die Weltgemeinschaft hat anerkannt, dass Naturschutz finanziert werden muss. Doch politisch fehlte der Mut, die fossilen Strukturen aufzubrechen.
Die Stimmung auf den Straßen war eine ganz andere: kämpferisch, ungeduldig, existenziell. Dort klang der Satz „System Change, not Climate Change“ weniger wie eine Parole, sondern vielmehr wie ein Notruf.
Cop 30 in Belém ist ein Ergebnis der Kompromisse in einer Zeit der Polarisierung. Das Just-Transition-Mandat und die Mutirão-Entscheidung sind Werkzeuge. Ob sie genutzt werden, um ein neues Haus zu bauen oder nur, um die Risse im alten System zu kitten, wird sich in den nationalen Klimaplänen (NDCs) der kommenden Monate zeigen.
Fazit: Was bleibt nach Belém? – Mut versus Geld?
Was sagt es über den Zustand unserer Weltgemeinschaft aus, wenn wir uns leichter auf eine Zahl mit zwölf Nullen einigen können als auf den einfachen Satz „Wir stoppen die Ölförderung“?
Wie lange können wir uns noch vor der Erkenntnis drücken, dass die Klimakrise kein Finanzierungs-, sondern ein Transformationsproblem ist?
Finanzziele definieren zwar Räume der Möglichkeit, aber sie ersetzen nicht den Mut zu strukturellen Entscheidungen. Es scheint, als würden wir versuchen, uns mit 1,3 Billionen Dollar von der Notwendigkeit einer echten Transformation freizukaufen. Geld ist ein Versprechen an die Zukunft – es ist abstrakt und dehnbar. Ein Förderstopp hingegen ist eine Handlung im Hier und Jetzt. Er erfordert keinen Kredit, sondern Charakter. Die COP30 hat uns gezeigt: Wir haben die Mittel, aber uns fehlt noch immer der Mut, das Ende des fossilen Zeitalters nicht nur zu finanzieren, sondern auch auszusprechen.Diese Erkenntnis ist unbequem, aber notwendig, wenn „Mutirão” mehr sein soll als ein schönes Wort im Amazonas.