10 Jahre Rana Plaza – ein Wendepunkt in der sozialen Verantwortung?
10 Jahre Rana Plaza – ein Wendepunkt in der sozialen Verantwortung?

10 Jahre Rana Plaza – ein Wendepunkt in der sozialen Verantwortung?

Am 24. April 2013 ereignete sich eine der schlimmsten Tragödien in der Geschichte der Modeindustrie, als das Rana Plaza-Gebäude in Savar, Bangladesch, einstürzte. Mehr als 1.100 Menschen verloren ihr Leben und Tausende wurden verletzt. Die Tragödie warf ein Schlaglicht auf die Schattenseiten der Modeindustrie und führte weltweit zu einem Umdenken in Bezug auf Nachhaltigkeit und soziale Verantwortung. Doch wo stehen wir heute: Unzählige andere Unfälle und ähnliche Tragödien in Bekleidungsfabriken auf der ganzen Welt, bei denen es zu Bränden, Gasexplosionen, Fehlfunktionen von Maschinen und ähnlichem kam und kommt, gibt es immer noch.

Was hat zur Tragödie geführt?

Der Einsturz des Rana-Plaza-Gebäudes war die Folge einer Kombination aus strukturellen Mängeln, mangelnder Bauaufsicht und rücksichtslosem Gewinnorientierung. Rana Plaza beherbergte mehrere Textilfabriken, die für internationale Bekleidungsmarken produzierten. Das Gebäude wurde auf sumpfigem, instabilem Untergrund errichtet und war ursprünglich als Bürogebäude geplant. Später wurden zusätzlich noch Stockwerke hinzugefügt, um den Raumbedarf der Textilfabriken zu ergänzen.

Am Tag vor dem Einsturz wurden Risse im Gebäude entdeckt, und die Arbeiter wurden nach Hause geschickt. Am nächsten Tag wurden sie jedoch gezwungen, die Arbeit wieder aufzunehmen, da die Fabrikbesitzer befürchteten, wichtige Liefertermine zu versäumen.  Das führte schließlich zur Katastrophe: Am nächsten Tag, dem 24. April, stürzte das Gebäude ein und begrub Tausende von Arbeitern unter den Trümmern.

Existenzbedrohende Auswirkungen für die Überlebenden und ihre Familien

Die Folgen des Unglücks von Rana Plaza waren sowohl für die betroffenen Arbeiter und für ihre Familien verheerend. Viele der Überlebenden kämpfen noch immer mit körperlichen und emotionalen Traumata.  Viele haben dauerhafte Verstümmelungen oder lebensverändernde Verletzungen erlitten, die ihre Arbeitsfähigkeit beeinträchtigen.  Der Verlust von Familienmitgliedern und Ernährern führte zu finanziellen Schwierigkeiten und emotionaler Belastung der Angehörigen. Zudem wurden viele Waisenkinder zurückgelassen, die ohne ausreichende Unterstützung aufwuchsen. Die meisten von ihnen haben bis heute keine angemessene Entschädigung erhalten.

Der Bangladesh Accord – eine Reaktion der internationalen Gemeinschaft

Rana Plaza war nicht nur ein Weckruf für die Modebranche, sondern auch eine schmerzhafte Erinnerung an die verheerenden Folgen einer unkontrollierten und profitorientierten Wirtschaft. Die Tragödie machte deutlich, dass soziale Verantwortung von der Modeindustrie nicht länger ignoriert werden kann und führte weltweit zu einem Umdenken in der Branche. NGOs, Regierungen und Modeunternehmen spielten eine entscheidende Rolle bei der Aufarbeitung der Tragödie und der Umsetzung von Initiativen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie.

Am 15. Mai 2013, weniger als einen Monat nachdem das Rana Plaza Gebäude einstürzte, wurde der „Accord on Fire and Building Safety in Bangladesh“ unterzeichnet. Es ist das erste rechtsverbindliche Abkommen, zwischen Modeunternehmen, Gewerkschaften und NGOs, die sich zum Ziel setzte, die Sicherheit in Textilfabriken in Bangladesch zu verbessern. Der Bangladesh Accord umfasste Sicherheitsinspektionen, Reparaturen und Renovierungen in den Fabriken, sowie Maßnahmen zur Stärkung der Arbeiterrechte und der Transparenz innerhalb der Lieferketten. Seit seiner Einführung hat das Bangladesh Accord dazu beigetragen, die Arbeitsbedingungen für Millionen von Arbeitern zu verbessern.[1] Das Abkommen war ursprünglich auf fünf Jahre angelegt und wurde um weitere drei Jahre verlängert, bevor es im Jahr 2020 an den RMG Sustainability Council (RSC) transferiert wurde. Seit 2021 gibt es ein neues Abkommen, den „International Accord for Health and Safety in the Textile and Garment Industry“, der das Abkommen auf Bekleidungs- und Textilproduktionsländer weltweit ausweitet.

Neben dem Bangladesch Accord haben auch andere Organisationen wie die Fair Wear Foundation[1], die Clean Clothes Campaign[2] und Fashion Revolution[3]


[1] Die Fair Wear Foundation stellt mit dem Fair-Wear-Index Instrumente und Methoden zur Verfügung, um die Industrie dabei zu unterstützen, den Menschenrechten in der gesamten Bekleidungslieferkette Priorität einzuräumen; https://www.fairwear.org/

[2] Seit 1996 verfolgt die Kampagne für Saubere Kleidung das Ziel, Arbeitsrechte in der globalen Bekleidungsindustrie zu verbessern. https://saubere-kleidung.de/

[3] Die Fashion Revolution Week fing 2014 als Fashion Revolution Day an, um an den Einsturz des Rana-Plaza-Gebäudes zu erinnern. Bald wurde klar, dass ein Tag nicht reichte, um die Missstände in der Modebranche zu beleuchten. Der Fashion Revolution Day wurde auf eine ganze Woche verlängert und fragt: „Who made my clothes?“ https://www.fashionrevolution.org/

wesentlich dazu beigetragen, das Bewusstsein für nachhaltige Mode und Arbeitsrechte zu erhöhen. Sie setzen sich dafür ein, dass Modeunternehmen ihre Lieferketten transparenter gestalten, ihre Produkte umweltfreundlicher herstellen und den Beschäftigten faire Löhne und sichere Arbeitsbedingungen bieten.

Regierungen und politische Entscheidungsträger auf internationaler Ebene haben ebenfalls auf den Rana Plaza-Einsturz reagiert, indem sie strengere Vorschriften und Standards für die Modeindustrie eingeführt und den Dialog über ethische Handelspraktiken gefördert haben. Beispielsweise verabschiedete die Europäische Union im Jahr 2020 den „EU Action Plan for a comprehensive EU policy framework on Decent Work in global supply chains„, der eine stärkere Kontrolle von Unternehmen und deren Lieferketten vorsieht. Auch das deutsche Lieferkettengesetzt[5] sorgt seit seiner Einführung im Januar 2023 für einen rechtlichen Rahmen und soll den Schutz von Umwelt, Menschen- und Kinderrechten entlang globaler Lieferketten gewährleisten sicherstellen.

Die Bedeutung von Transparenz in Lieferketten

Transparenz in den Lieferketten ist von entscheidender Bedeutung, um Arbeits- und Umweltstandards zu gewährleisten und nachhaltige Mode zu fördern. Durch eine transparente Lieferkette können Unternehmen und Verbraucher besser verstehen, wie und wo ihre Produkte hergestellt werden und welche sozialen und ökologischen Auswirkungen sie haben. Dies ermöglicht es den Unternehmen, verantwortungsvollere Entscheidungen zu treffen und die Bedingungen für die Beschäftigten in ihren Lieferketten zu verbessern.

Jährlich veröffentlicht z.B. die NGO Fashion Revolution den „Fashion Transparency Index“, eine Bewertung von 250 der weltweit größten Modemarken und -einzelhändler nach dem Grad ihrer Offenlegung von Menschenrechts- und Umweltpolitik, -praktiken und -auswirkungen in ihren eigenen Betrieben und in den Zulieferketten.[6]

Es gibt bereits einige Modeunternehmen, die Transparenz in ihren Lieferketten fördern und zeigen, dass nachhaltige Mode möglich ist. Ein Beispiel ist Patagonia[7], ein amerikanisches Outdoor-Bekleidungsunternehmen, das für seine umweltfreundlichen Materialien und fairen Arbeitsbedingungen bekannt ist. Patagonia veröffentlicht Informationen über seine Lieferkette und Fabriken, um Verbrauchern und Stakeholdern einen Einblick in die Herstellung seiner Produkte zu geben. Auch das deutsche Unternehmen Vaude[8] berichtet mit verschiedenen Berichtsstandards sehr ausführlich über Aspekte wie Umweltschutz, Arbeitnehmerrechte, Menschenrechte, Ethik und Gemeinwohl. Auch Nudie Jeans[9] bietet auf seiner Website eine interaktive Karte an, auf der die Produktionsstätten und Zulieferer des Unternehmens verzeichnet sind. Durch diese Transparenz können Verbraucher nachvollziehen, wo und wie ihre Kleidung hergestellt wird, und sich für nachhaltigere Optionen entscheiden.

Transparenz in Lieferketten ist ein entscheidender Faktor für nachhaltige Mode und soziale Verantwortung und hilft dabei, das Vertrauen der Verbraucher in die Unternehmen und ihre Produkte zu stärken.

Hat das Fabrikunglück von Rana Plaza auch Auswirkungen auf die Nachhaltigkeit in der Mode?

Ja, hatte es. Die Katastrophe hat das Bewusstsein für die schlechten Arbeitsbedingungen und die mangelnde Sicherheit in der Textilindustrie geschärft. Seitdem haben viele Unternehmen und Organisationen begonnen, sich für nachhaltige Textilien und faire Arbeitsbedingungen einzusetzen. Es gibt auch eine wachsende Bewegung von Verbrauchern, die nachhaltige Mode bevorzugen und auf die Herkunft und Produktionsbedingungen von Kleidung achten. Die Rana Plaza-Katastrophe hat gezeigt, dass Nachhaltigkeit in der Modeindustrie notwendig ist, um die Arbeitsbedingungen und die Umwelt zu schützen.

Die Bekleidungsindustrie in Bangladesch stand und steht immer noch im Rampenlicht und inzwischen es ist auch bei den Verbraucher*innen angekommen, dass ein (Fast Fashion)T-Shirt für 2 Euro keine fairen Löhne garantieren kann.

UN Sustainable Development Goals (SDGs) – Ziele für eine nachhaltige Entwicklung

Unsere Welt soll zu ein Ort werden, an dem Menschen ökologisch verträglich, sozial gerecht und wirtschaftlich leistungsfähig in Frieden leben können. Die Bezeichnung „People, Planet, Profit“ ist eine allgemeine Zusammenfassung der drei Bereiche des Triple Bottom Line-Modells der Nachhaltigkeit von John Elkington. „People“ bezieht sich auf den sozialen Aspekt der Nachhaltigkeit, der die Bedürfnisse und das Wohlergehen der Menschen in den Mittelpunkt stellt. Dazu gehören die Achtung der Menschenrechte, die Verbesserung der Lebensqualität und die Förderung sozialer Gerechtigkeit. Die Bedeutung von Nachhaltigkeit wird seit 2015 auch maßgeblich durch die Nachhaltigkeitsziele (Sustainable Development Goals, SDGs) der Vereinten Nationen geprägt. Viele Näherinnen leben nach wie vor in Armut (SDG 1) und haben keinen Zugang zu angemessenen Wohn- und Lebensbedingungen, Gesundheitsversorgung (SDG 3) und Bildung (SDG 4), aber auch Ziele wie Mindestlöhne oder Arbeitssicherheit (SDG 8) sind in den Nachhaltigkeitszielen enthalten, die bis 2030 vollständig umgesetzt sein sollen.

Nachhaltige Modelabels und die wachsende Nachfrage der Verbraucher nach ethischer Mode zeigen, dass in der Branche ein Wandel stattfindet. Die gemeinsamen Anstrengungen von Verbrauchern, Unternehmen und politischen Entscheidungsträgern sind entscheidend, um diesen Wandel weiter voranzutreiben und eine nachhaltige und sozial verantwortliche Modeindustrie zu schaffen.

Rana Plaza als Katalysator für Veränderungen in der Modebranche

Rana Plaza mag zwar als Katalysator für Veränderungen in der Modeindustrie gedient haben, aber die anhaltende Bedeutung von nachhaltiger Mode und sozialer Verantwortung zeigt, dass noch viel Arbeit vor uns liegt. Es ist wichtig, dass alle Beteiligten weiterhin zusammenarbeiten und sich für eine ethischere und umweltfreundlichere Modeindustrie einsetzen, damit sich Tragödien wie Rana Plaza nicht wiederholen.


[1] Mit 220 Unternehmen, die das Abkommen von 2013 unterzeichnet haben, wurden mehr als 2.000 Fabriken inspiziert, was zu mehr als 40.000 Erst- und Folgeinspektionen führte. Dabei wurden 150.000 Sicherheitsmängel festgestellt, von denen bis heute 93 Prozent beseitigt wurden. In 400 Fabriken wurden die geforderten Verbesserungen sogar zu 100 Prozent umgesetzt.

[2] Die Fair Wear Foundation stellt mit dem Fair-Wear-Index Instrumente und Methoden zur Verfügung, um die Industrie dabei zu unterstützen, den Menschenrechten in der gesamten Bekleidungslieferkette Priorität einzuräumen; https://www.fairwear.org/

[4] Die Fashion Revolution Week fing 2014 als Fashion Revolution Day an, um an den Einsturz des Rana-Plaza-Gebäudes zu erinnern. Bald wurde klar, dass ein Tag nicht reichte, um die Missstände in der Modebranche zu beleuchten. Der Fashion Revolution Day wurde auf eine ganze Woche verlängert und fragt: „Who made my clothes?“ https://www.fashionrevolution.org/

[5] https://www.bmz.de/de/themen/lieferkettengesetz

[6] https://www.fashionrevolution.org/about/transparency/.

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