Der Online-Handel ist aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. Doch während Verbraucher von Bequemlichkeit und Auswahl profitieren, stehen viele Einzelhändler vor einer ungleichen Herausforderung: Große digitale Plattformen wie Amazon oder Google dominieren den Markt und diktieren die Regeln – oft zu Lasten kleinerer Akteure. Der Handelsverband Deutschland (HDE) hat sich in einer Pressemitteilung vom März 2025 anlässlich des Digital Markets Act (DMA) klar positioniert: Fairer Wettbewerb im Onlinehandel ist dringend notwendig. Doch was genau ist das DMA und wie kann es die Situation verändern? Dieser Artikel erklärt, was sich hinter dem Gesetz verbirgt, warum es existiert und welche Auswirkungen es auf Händler, Verbraucher und den Markt in Europa – insbesondere in Deutschland – haben könnte.
Gesetz über digitale Märkte (DMA)
Der Digital Markets Act (DMA) ist ein Gesetz der Europäischen Union, das im November 2022 verabschiedet wurde und ab 2023 schrittweise in Kraft tritt. Es richtet sich an sogenannte „Gatekeeper“ – große Technologieunternehmen, die zentrale digitale Plattformen kontrollieren. Dazu gehören Konzerne wie Amazon, Google, Apple, Meta, Microsoft (US Big Five) und ByteDance (Eigentümer von TikTok). Diese Unternehmen haben aufgrund ihrer Größe, ihres Marktanteils und ihrer Kontrolle über digitale Ökosysteme eine enorme Macht: Sie entscheiden, wer Zugang zu Kunden, Daten oder Märkten erhält. Der DMA soll sicherstellen, dass diese Macht nicht missbraucht wird, sondern Wettbewerb, Innovation und Verbraucherrechte gefördert werden.
Faire und offene digitale Märkte für Europa
Die digitale Wirtschaft ist in den letzten Jahrzehnten rasant gewachsen, aber auch die Dominanz einiger weniger Tech-Giganten. Im Jahr 2024 wurde im Onlinehandel in Deutschland ein Umsatz von rund 80,67 Milliarden Euro erzielt. (Statista 2025) Das entspricht laut dem Online-Monitor 2024 von HDE einem Anteil des Online-Volumens von 21,5 Prozent am gesamten Einzelhandelsumsatz – ein Großteil davon über Plattformen wie Amazon. Diese Konzentration birgt Risiken: Kleine Händler oder Start-ups haben kaum eine Chance, gegen die Platzhirsche zu bestehen, wenn diese ihre eigenen Produkte bevorzugen oder Wettbewerber durch hohe Gebühren und intransparente Algorithmen benachteiligen. Gleichzeitig sind Verbraucher oft an ein Ökosystem – wie Apples App Store oder Googles Suche – gebunden, ohne echte Alternativen zu haben. Der DMA wurde eingeführt, um diese Ungleichgewichte zu korrigieren und einen faireren und offeneren digitalen Markt zu schaffen.
Regulierungsrahmen für Wettbewerb
Das DMA verfolgt drei Ziele: Erstens soll es den Wettbewerb stärken, indem es Monopole aufbricht und kleineren Unternehmen bessere Chancen einräumt. Zweitens sollen Verbraucher mehr Freiheit und Schutz erhalten, etwa durch mehr Kontrolle über ihre Daten oder die Möglichkeit, zwischen verschiedenen Diensten zu wechseln. Drittens will die EU mit dem DMA ihre Werte – Fairness, Transparenz und Innovation – in die digitale Welt übertragen und gleichzeitig ein Vorbild für globale Regulierung setzen.

Dazu legt der DMA konkrete Pflichten für Gatekeeper fest, die bestimmte Kriterien erfüllen – etwa einen Jahresumsatz von mehr als 7,5 Milliarden Euro in der EU oder mehr als 45 Millionen monatliche Nutzer. Hier die wichtigsten Regeln, anschaulich erklärt mit Beispielen, die für Europa und Deutschland wichtig sind:
1. Verbot der Selbstbevorzugung:
Gatekeeper dürfen ihre eigenen Produkte oder Dienstleistungen nicht bevorzugen. Ein Beispiel: Wenn ein deutscher Händler bei Amazon Bücher verkauft, darf Amazon seine eigenen Buchangebote in den Suchergebnissen nicht vor denen des Händlers platzieren, nur weil es selbst mehr daran verdient. Damit soll sichergestellt werden, dass der Wettbewerb fair bleibt und nicht durch die Plattform verzerrt wird.
2. Datenzugang für Drittanbieter
Digitale Plattformen müssen den Geschäftskunden Zugang zu den Daten gewähren, die bei ihren Aktivitäten anfallen. Ein Beispiel: Ein kleines Münchner Modelabel verkauft über Amazon Marketplace. Bisher hatte es keinen Zugriff auf detaillierte Kundendaten (z.B. welche Altersgruppen seine Produkte kaufen). Mit dem DMA kann es diese Informationen nutzen, um sein Marketing zu verbessern, anstatt dass Amazon sie exklusiv für sich behält.
3. Interoperable Kommunikation
Hierbei geht es um eine anbieterübergreifende Kommunikation. Die Fähigkeit verschiedener Systeme, möglichst nahtlos zusammenzuarbeiten. Große Plattformen müssen ihre Gatekeeper-Dienste mit anderen kompatibel machen. Ein Beispiel aus Europa: Nutzer von WhatsApp (gehört zu Meta) könnten so künftig Nachrichten an Nutzer von Signal oder Telegram senden, ohne die App wechseln zu müssen. Das würde die Abhängigkeit von einem einzigen Anbieter verringern – ein Thema, das auch in Deutschland, wo WhatsApp extrem populär ist, viel diskutiert wird.
4. Nutzungsfreiheit
Gatekeeper dürfen ihre Nutzer nicht daran hindern, alternative Dienste zu nutzen, was bedeutet, dass sie nicht in ein einziges Ökosystem gezwungen dürfen. Ein konkretes Beispiel ist der App-Store von Apple: Ab 2024 können iPhone-Nutzer in der EU Apps auch über andere Stores installieren, statt ausschließlich über Apples Plattform. Für deutsche Entwickler bedeutet dies mehr Möglichkeiten, ihre Apps direkt an den Kunden zu bringen, ohne die hohen Gebühren von Apple (bis zu 30%) zahlen zu müssen.
5. Datenzugang und Kontrolle bei Werbung
Der Digital Services Act (DSA) legt großen Wert auf Transparenz in der Online-Werbung. Die Regelung zielt darauf ab, Verbraucher*innen vor versteckter oder irreführender Werbung zu schützen und eine klare Trennung zwischen redaktionellen und werblichen Inhalten zu gewährleisten. Plattformen wie Google müssen zudem offenlegen, wie ihre Werbealgorithmen funktionieren. Für deutsche Unternehmen, die viel Geld in Google Ads investieren, könnte dies bedeuten, dass sie besser verstehen, warum ihre Anzeigen geschaltet werden – oder eben nicht.
Sanktionen bei Verstößen
Wer gegen das DMA verstößt, riskiert empfindliche Strafen: bis zu zehn Prozent des weltweiten Jahresumsatzes, im Wiederholungsfall sogar bis zu 20 Prozent. Für Amazon mit einem weltweiten Umsatz von über 574 Milliarden US-Dollar im Jahr 2023 könnte das in die Milliarden gehen. Die Europäische Kommission überwacht die Einhaltung und kann gegebenenfalls Untersuchungen einleiten.
Gleiche, transparente Bedingungen für alle Marktteilnehmer
Die Europäische Kommission prüft derzeit im Rahmen einer Non-Compliance-Untersuchung, ob Google bei der Darstellung seiner Suchergebnisseite gegen das Verbot der Selbstbegünstigung nach Art. 6 Abs. 5 des DMA verstößt. Nach vorläufiger Auffassung der Kommission liegt ein möglicher Verstoß vor. Die DMA stellt klar, dass große Technologieunternehmen ihre Marktmacht nicht zur Bevorzugung eigener Dienste ausnutzen dürfen. Der HDE betont, dass direkte Online-Vertriebskanäle und die Sichtbarkeit auf der Google-Suchergebnisseite für Handelsunternehmen jeder Größe sowie für Verbraucherinnen und Verbraucher unverzichtbar sind. Direktvermarkter wie Einzelhändler und Preisvergleichsportale müssen die Möglichkeit haben, in den Suchergebnissen transparent dargestellt zu werden. Es braucht gleiche und transparente Bedingungen für alle. (HDE, 20.03.2025)
Der Digital Markets Act ist ein Meilenstein für die digitale Wirtschaft. Er könnte Wettbewerb beleben, den Druck auf Gatekeeper erhöhen, und den Einzelhandel in Deutschland stärken. Die Frage ist, ob die Regeln konsequent durchgesetzt werden, die Behörden mit der Macht der Tech-Riesen mithalten können und wie Unternehmen auf die Vorgaben reagieren. Es wird sich zeigen, ob er das volle Potenzial entfalten kann und ob er den Spagat zwischen Regulierung und Innovation meistern kann.
Titelfoto von Mark König auf Unsplash