Teil 10: Zeitmanagement – Effektivität statt Eile
Teil 10: Zeitmanagement – Effektivität statt Eile

Teil 10: Zeitmanagement – Effektivität statt Eile

Zeit ist nicht nur Geld. Zeit ist Aufmerksamkeit, Handlungsmacht, Lebensgestaltung. In einer sich immer schneller drehenden Arbeitswelt, die von Digitalisierung, Globalisierung und ständiger Erreichbarkeit geprägt ist, wird Zeitmanagement zur Schlüsseldisziplin. Doch wer dabei nur an To-do-Listen und Zeitpläne denkt, unterschätzt die Tiefe der Frage: Wofür verwende ich eigentlich meine Zeit?

„Der Mensch hat keine Zeit, wenn er sich nicht Zeit nimmt, Zeit zu haben.“ – Ladislaus Boros

Stephen R. Coveys Klassiker Die 7 Wege zur Effektivität (2015) gibt darauf eine revolutionäre Antwort. Das Buch ist mehr als ein Ratgeber – es ist ein Bewusstseinswandel. Es verschiebt unseren Fokus von der Effizienz zur Effektivität und fordert uns auf, nicht mehr alles schneller zu tun, sondern das Richtige zuerst. In diesem Essay möchte ich aufzeigen, warum Coveys Ansatz eine neue Einstellung zum Thema Zeit erfordert, wie er mit den Mythen des klassischen Zeitmanagements aufräumt – und welche konkreten Schritte uns im Alltag zu mehr Klarheit, Effektivität und Gelassenheit führen.

Warum Zeitmanagement mehr ist als Terminplanung

Zeitmanagement ist oft eine Frage der Kommunikation: “Kannst du mir eine Aufgabe abnehmen?” oder “Bitte störe mich jetzt nicht, ich habe heute viel zu tun!”. Wenn man seine Zeitpläne oder Engpässe offen kommuniziert, erleichtert das vieles. Gutes Zeitmanagement setzt voraus, dass man sich schon einmal verschätzt hat (Erfahrungen gemacht hat). Wo boykottiere ich mich? Zum Beispiel kann übertriebener Perfektionismus manchmal hinderlich sein. Reichen nicht 80 Prozent?

In den meisten Büchern und Seminaren zum Thema Zeitmanagement geht es um Tools: Kalender, Apps, Priorisierungsmodelle. Diese Tools sind zweifellos nützlich, aber sie kratzen oft nur an der Oberfläche. Covey hingegen geht eine Etage tiefer: Er stellt die Frage nach dem Charakter, nach den eigenen Werten und Prinzipien. Was ist mir wirklich wichtig? Wofür möchte ich meine Lebenszeit einsetzen?

Covey unterscheidet zwischen Effektivität und Effizienz. Effizient ist, wer möglichst viele Aufgaben in möglichst kurzer Zeit erledigt. Effektiv ist, wer die richtigen Dinge tut. Was nützt es, eine Aufgabe schnell und sauber zu erledigen, wenn sie eigentlich gar nicht in unser Leben oder zu unseren Zielen passt? Das ist wie eine Leiter, die man erfolgreich hinaufsteigt, um am Ende festzustellen, dass sie an der falschen Wand lehnt.

Coveys Zeitmanagement-Modell der vier Quadranten

Eines der bekanntesten Konzepte aus Coveys Buch ist die sogenannte “Zeitmanagement-Matrix” – vier Quadranten, die Aufgaben nach zwei Kriterien einteilen: dringend und wichtig. Es ist eine Anlehnung bzw. Weiterentwicklung des bekannten Eisenhover-Prinzips:

  • Quadrant I – Wichtig und dringend: Dieser Quadranten nennt sich auch Quadrant der Notwendigkeit, wie Krisen, Fristen, drängende Probleme. Aufgaben in diesem Quadranten dulden keinen Aufschub, sie erfordern unsere sofortige Reaktion.

  • Quadrant II – Wichtig, aber nicht dringend: Dieser „Quadranten der Qualität“ dient der Erweiterung der „Handlungsfähigkeit“: Vorausplanung, Personalentwicklung, Kontaktpflege oder die eigene Gesundheitsvorsorge. Dies sind die Aufgaben, die langfristige Wirksamkeit erzeugen. Werden diese Aufgaben nicht sukzessive erledigt, wandern sie in den Quadranten I. Um dies zu vermeiden, sollte der Fokus auf Quadrant II liegen. Hier liegt der Schlüssel zu echter Wirksamkeit.

  • Quadrant III – Dringend, aber nicht wichtig: Der „Quadrant der Täuschung“ enthält Dinge, die aufgrund ihrer Dringlichkeit die Illusion von Wichtigkeit erzeugen, wie z.B. Anrufe, E-Mails, spontane Meetings. Sie erscheinen wichtig, weil sie sofortige Aufmerksamkeit erfordern, tragen aber wenig zu unseren eigentlichen Zielen bei. Vielmehr versuchen wir in diesen Fällen, den Prioritäten anderer gerecht zu werden. Es ist wichtig, bewusst zwischen den Quadranten I und III zu unterscheiden.

  • Quadrant IV – Weder dringend noch wichtig: Der „Quadrant der Verschwendung“ schließlich besteht aus Tätigkeiten, die weder wichtig noch dringend sind und eigentlich nur unsere Zeit verschwenden: Ablenkung, Aufschieben, zielloses Scrollen.

Covey argumentiert, dass wir unsere Zeit radikal zugunsten von Quadrant II umstrukturieren müssen. Denn dort entstehen die Dinge, die uns langfristig voranbringen: Vision, Prävention, Beziehung, Wachstum. Aber gerade, weil sie nicht dringend sind, geraten sie so leicht unter die Räder des Alltags.

Zeitmanagement Matrix |etsy.com

Von Rollen und Zielen: Die Wochenplanung als strategisches Werkzeug

Ein zentrales Element von Coveys Ansatz ist die Wochenplanung. Anders als tagesorientierte To-do-Listen, die vor allem das Dringende betonen, erlaubt die Wochenplanung eine erweiterte Perspektive. Dabei geht es nicht darum, den Kalender vollzupacken, sondern bewusst Raum für das Wichtige zu schaffen.

Zeitmanagement, so Covey, beginnt nicht mit der Uhr, sondern mit dem Kompass. Es geht darum, zu wissen, wohin man will. Dazu empfiehlt der Autor im ersten Schritt sollte man seine Vision und Mission klären, also festlegen, was einem wichtig ist und eine generelle Orientierung für sein Leben festlegen (beruflich wie privat). Ein solches Statement könnte lauten: “Ich möchte als inspirierende Führungskraft wahrgenommen werden, die andere fördert und selbst stets dazulernt. Ich teile meine Zeit bewusst zwischen beruflichem Engagement und familiärem Miteinander.” Ein Mission Statement ist nicht in Stein gemeißelt. Es darf wachsen, sich wandeln. Doch es gibt Orientierung – gerade dann, wenn die To-do-Liste länger ist als der Tag.

In einem grundlegenden Schritt eins sollte man sich klar werden, worin die eigene Vision und entsprechende Mission besteht.

Ein weiterer zentraler, zweiter Schritt in Covey Wochenplanung ist, unsere Lebensrollen zu identifizieren, die man sich selbst zuweist. Jeder Mensch spielt im Laufe seines Lebens mehrere Rollen – z. B. Projektleiterin, Teammitglied, Mentorin, Partnerin, Tochter. Jeder Mensch trägt mehrere Rollen gleichzeitig, doch Studien zeigen, dass mehr als sieben gleichzeitige Rollen zur mentalen Überlastung führen können.

Schritt drei ist, für jede Rolle formulieren wir ein bis zwei konkrete Ziele für die Woche. Welche dieser Aktion hat den größten positiven Einfluss? Diese Ziele stammen idealerweise aus Quadrant II. Zum Beispiel:

  • Als Mentorin: “Ich nehme mir eine Stunde für ein Reflexionsgespräch mit meinem Mentee.”

  • Als Projektleiterin: “Ich plane einen Strategieworkshop zur Zielausrichtung des Teams.”

Diese Ziele sollten SMART sein: spezifisch, messbar, attraktiv, realistisch, terminiert. Auch wenn die Versuchung groß ist, sich in einer Woche für eine Rolle gleich gleich mehrere Ziele zu setzen, sollte man sich unbedingt auf ein oder höchstens zwei Rollen beschränken. So entsteht ein Plan, der nicht auf Dringlichkeit reagiert, sondern auf Wirksamkeit zielt.

Die Methode geht auf den Managementforscher Peter Drucker zurück, der in den 50er Jahren entwickelte.

Im vierten Schritt wird schließlich ein konkreter Wochenplan erstellt, der bei der Entscheidungsfindung hilft. Ziel ist es, die Zeiteinteilung nicht mehr nach spontanen Prioritäten von Tag zu Tag zu gestalten, sondern den tatsächlichen Prioritäten – also den in Schritt drei ermittelten Zielen aus dem II. Entsprechend dieser Ziele werden nun mehrere konkrete Aufgaben definiert und für deren ausschließliche Bearbeitung feste Zeitfenster eingeplant.

Wochenplan nach Covey | etsy.com

Der fünfte Schritt zielt darauf ab, Tag für Tag den „Weg zum Wesentlichen“ zu finden – entsprechend den zuvor festgelegten Wochenzielen – und dies mit der spontan auftretenden Dringlichkeit in Einklang zu bringen. Dabei ist es wichtig, konsequent zu bleiben und die Planung so weit wie möglich einzuhalten. Folgende Punkte empfiehlt Stephen Covey in seinem Buch:

  • Den Zeitplan für den jeweiligen Tag zu konsultieren
  • Die eigenen Prioritäten ordnen – und dabei zu beachten, dass keine Aufgabe in einen anderen Quadranten verschoben wird (zum Beispiel von Quadrant II zu Quadrant I)
  • Den Tagesplan mit einem farbigen Markierungssystem (T-Karten-Systems) zu unterteilen: in Aktivitäten, die an feste Zeiten gebunden sind, und solche, die zu jeder beliebigen Zeit stattfinden können.

Der sechste Schritt ist die abschließende Bewertung. Um einzuschätzen, wie erfolgreich die organisatorischen Bemühungen waren und ob es noch Verbesserungspotential gibt, ist es interessant, sich am Ende der Woche folgende Fragen zu stellen und entsprechende Konsequenzen aus den Ergebnissen zu ziehen:

  • Welche der gesteckten Ziele konnten erreicht werden?
  • Welche Herausforderungen oder Schwierigkeiten gab es in dieser Woche?
  • Welche Entscheidungen sind getroffen worden? Welche nicht?
  • Wurden Prioritäten bei der Entscheidungsfindung beachtet?

Zeitmanagement in der New-Work-Welt: Selbstführung statt Selbstoptimierung

In agilen Arbeitswelten, hybriden Teams und permanentem Wandel ist klassische Kontrolle kaum mehr möglich. Selbstführung wird zur Schlüsselkompetenz. Wer sich nicht selbst führt, wird geführt – von Meetings, Erwartungen, Terminanfragen. Coveys Konzept ist hochaktuell: Es stellt nicht die Frage “Wie werde ich effizienter”, sondern “Was ist mein Beitrag”. Es macht uns zu Architekten unserer Zeit – statt zu Feuerwehrleuten im permanenten Notfallmodus. New Work bedeutet nicht nur neue Werkzeuge, sondern vor allem neue Denkweisen. Effektives Zeitmanagement bedeutet, Verantwortung für die eigene Wirksamkeit zu übernehmen. Das ist die Essenz von Coveys Botschaft.

Hier noch ein paar praktische Tipps für den Alltag

Damit Coveys Prinzipien nicht nur Theorie bleiben, hier eine Auswahl konkreter Schritte:

a) Täglicher Quadranten-Check
Stelle dir am Ende jedes Arbeitstags die Frage: Welche meiner heutigen Aufgaben kamen aus Quadrant II? Was war reine Ablenkung? Wie kann ich morgen bewusster entscheiden?

b) Wöchentlicher Planungsslot (60 Minuten)
Reserviere dir jeden Sonntagabend oder Montagmorgen eine Stunde. Plane bewusst anhand deiner Rollen und Mission. Setze für jede Rolle maximal zwei Ziele. Verteile diese auf deine Woche.

c) Delegieren, Eliminieren, Fokussieren
Gehe deine Aufgabenliste durch und sortiere aus:

  • Muss ich das tun?
  • Muss das überhaupt getan werden?
  • Was bringt mir echte Fortschritte?

d) Fokus-Zeitblöcke reservieren
Plane täglich mindestens einen 90-Minuten-Block für ungestörtes Arbeiten an Quadrant-II-Zielen. Keine Mails, keine Meetings, kein Multitasking.

e) Reflektion und Fortschrittskontrolle
Nimm dir Freitagmittag 15 Minuten Zeit: Welche Ziele habe ich erreicht? Welche nicht? Was habe ich gelernt? Wo habe ich reaktiv statt proaktiv gehandelt?


Hier findet Ihr weitere Beiträge zu unserer mehrteiligen Artikelserien zu “New Work”

Teil 9: Teamwork als zentraler Zukunftsmotor von New Work
Teil 8: Making Money 4.0 – sinnvolles Wirtschaften in einer digitalisierten Welt
Teil 7: Wissensmanagement im Unternehmen als Schlüssel zum Erfolg
Teil 6: New Leadership & People Empowerment
Teil 5: New Leadership – Führung für eine neue Arbeitswelt
Teil 4: Inner Development Goals als Schlüssel für die Zukunft der Arbeit
Teil 3: Arbeit 4.0 – Digitale Transformation und agile Arbeitsformen
Teil 2: Frithjof Bergmann und das Konzept der “Neuen Arbeit”
Teil 1: Die Geschichte der Arbeit – Vom Überlebenskampf zur Sinnsuche

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