Working-Out-Loud: Warum Vernetzung das neue Weiterbilden ist
Working-Out-Loud: Warum Vernetzung das neue Weiterbilden ist

Working-Out-Loud: Warum Vernetzung das neue Weiterbilden ist

Stell dir vor, dein Wissen ist ein Lichtstrahl. In vielen Unternehmen bleibt dieser Strahl im Verborgenen – verdeckt durch Zurückhaltung, Silodenken oder fehlende Vernetzungsmöglichkeiten. Doch was wäre, wenn es eine Methode gäbe, genau dieses Licht nach außen zu tragen – nicht als grelles Spotlight, sondern als verbindende Laterne, die anderen den Weg erhellt und einem selbst neue Perspektiven eröffnet? Genau hier setzt das Konzept “Working-Out-Loud” an.

Die Methode Working Out Loud (kurz: WOL) ist einfach – und doch revolutionär. Sie zielt nicht auf Prozesse, sondern auf Menschen. Nicht auf Strukturen, sondern auf Beziehungen. Und sie wirkt nicht laut, sondern leise, konsequent und nachhaltig. WOL ist Prinzip, Haltung und Bewegung zugleich – und trifft einen Nerv in einer Arbeitswelt, die nach Offenheit, Vernetzung und Eigenverantwortung verlangt.

Wenn Sichtbarkeit zur Superkraft wird

Der Begriff tauchte erstmals 2010 in einem Blogbeitrag von Bryce Williams auf, mit dem Titel “When will we start to work out loud?“. Es dauerte weitere fünf Jahre, bis John Stepper ihn für seine „Circle Guides“ aufgriff und daraus ein strukturiertes Format entwickelte. Für den des New Yorker Banker begann Working Out Loud als persönliche Erkenntnis. Geprägt vom klassischen Karriereverständnis erkannte er, dass isoliertes Arbeiten hinter verschlossenen Türen nicht nur an Wirkung, sondern auch an Sinn verliert. Sichtbarkeit darf kein Zufall sein. Working Out Loud heißt: die eigene Arbeit sichtbar machen – nicht als Selbstdarstellung, sondern als Einladung zur Vernetzung.

„Teile deine Arbeit sichtbar, sinnvoll und kontinuierlich, um dich mit anderen zu vernetzen und voneinander zu lernen.“ – John Stepper

Working-Out-Loud: Methoden des sozialen Lernens zum Aufbau neue Fähigkeiten, Netzwerke und Denkweisen

Nach John Stepper basiert WOL auf fünf Prinzipien:

  1. Zielgerichtetes Arbeiten: Ich verfolge ein für mich bedeutungsvolle Ziel und zerlege Herausforderungen gemeinsam in Teilschritte.
  2. Großzügigkeit: Ich teile großzügig mein Wissen und meine Erfahrungen, von denen alle profitieren, ohne eine Gegenleistung zu erwarten.
  3. Beziehungsaufbau: Ich investiere in echte, vertrauensvolle Beziehungen.
  4. Sichtbarkeit: Ich dokumentiere und teile meine Lernprozesse und Zwischenschritte transparent und für alle nachvollziehbar – nicht nur die Ergebnisse.
  5. Wachstumsmentalität: Ich bin offen für andere Sichtweisen und entdecke alternative Wege, eine Herausforderung zu meistern.

Diese Prinzipien spiegeln zentrale Werte moderner Lern- und Organisationskulturen wider: Selbstverantwortung, Netzwerkarbeit, Sinnhaftigkeit. WOL wirkt auf der persönlichen Ebene – und genau darin liegt seine Stärke. Es ist kein Werkzeug zur Effizienzsteigerung, sondern eine Einladung zur kulturellen Selbstwirksamkeit. Menschen, die sich gezielt vernetzen, sind produktiver, innovativer und motivierter.

WOL im Unternehmen: Von Bosch bis Telekom

Die einen Methoden verschwinden sang- und klanglos, andere verändern still und nachhaltig. Working Out Loud gehört zu der zweiten Kategorie. Es ist kein Quick Fix, sondern ein kulturelles Betriebssystem, das über Rituale und Erfahrungen wirkt.

Bosch, seit 2015 Vorreiter, hat gezeigt, was WOL bewirken kann. Das interne Netzwerk Bosch Connect war technisch vorhanden, blieb aber ungenutzt. Mit den WOL-Circles bei Bosch, kleinen, freiwillige Kleingruppen für zwölf Wochen, wurde ein Raum für Austausch, Sichtbarkeit und hierarchieübergreifende Vernetzung geschaffen.

Die Ergebnisse:

  • Stärkere Nutzung des Netzwerks – auch durch Digitalmuffeln
  • Neue bereichsübergreifende Kooperationen, die vorher undenkbar waren
  • Zunahme informeller Lernprozesse und innovationsfördernder Beziehungen

Tatsächlich hat sich die soziale Tiefenstruktur verändert: Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zeigen ihre Expertise, helfen sich gegenseitig, geben Feedback – Bosch Connect ist lebendig geworden. Das spart Zeit, fördert Innovationen und stärkt die Kultur. Auch Daimler, Siemens und die Telekom setzen auf WOL, wie wir im Video sehen – um Talente zu fördern, die digitale Transformation zu unterstützen und den Kulturwandel voranzutreiben.

Der WOL-Circle als Lernraum: einfach, effektiv, verbindend

Was WOL so besonders macht, ist seine radikale Einfachheit: keine Software, keine Zertifizierung, keine formalen Rollen. Ein Ziel, eine Gruppe, zwölf Wochen, ein Guide.

In WOL-Circle treffen sich drei bis fünf Personen über zwölf Wochen lang für jeweils eine Stunde pro Woche. Der strukturierte Ablauf mit Reflexionsfragen, Aufgaben und Impulsen schafft Raum für Selbststeuerung und Verbindlichkeit. Nach dem Kennenlernen formuliert jede*r Teilnehmer*in ein persönliches Ziel. Jedes Treffen hat einen festen Ablaufplan.

In einem ersten Schritt setzen sich die Teilnehmer*innen zusammen und formulieren jeweils individuell ihre Ziele, die ihnen persönlich wichtig sind und für die in den zwölf Wochen Fortschritte erzielt werden sollten. Anschließend werden diese Ziele besprochen und die übrigen Teilnehmer*innen überlegen, wie sie diese Ziele unterstützen können. Entscheidend ist dabei, dass die WOL- Circles absolut vertraulich arbeiten und möglichst nichts nach außen und womöglich zu Vorgesetzten dringt. Die zentralen Fragen sind:

  • Was will ich erreichen?
  • Wer kann mir helfen?
  • Wie kann ich unsere Beziehung vertiefen?

Anschließend reflektiert die Gruppe das Gesagte noch einmal und plant das nächste Treffen. In der Zwischenzeit haben die Teilnehmer*innen die Aufgabe, das Gesagte noch einmal zu überdenken und die Übungen, falls nötig, zu wiederholen. Zu Beginn des nächsten Treffens werden häufig wieder Einstiegsfragen gestellt, wie z.B. die Frage nach dem Stand der Dinge bei den Anwesenden, bevor es zu Gruppen- und Einzelübungen kommt.

Für die Arbeitsorganisation kann es hilfreich sein, jemanden aus der Gruppe zu benennen, der die Diskussion organisiert, moderiert und unterstützt, aber gleichzeitig aber auch Teilnehmer ist. Eine weitere Person achtet auf die Einhaltung der Zeitvorgabe und hält die Balance zwischen Aktion und Diskussion.

Am Ende des Zeitraums sollte sich nicht nur der jeweilige Kreis an vertrauten Mitarbeiter*innen erweitert haben. Darüber hinaus haben die Teilnehmer*innen durch den langen Zeithorizont und den Abstand zwischen Treffen die Möglichkeit, neue Verhaltensweisen in Ruhe zu üben und in ihre Gewohnheiten zu integrieren.

WOL Circle Guide

Ein Beispiel aus der Praxis: Ein HR-Manager, der sich im Bereich „Future Skills“ weiterentwickeln möchte, trifft in seinem WOL-Circle auf eine Kollegin aus dem Controlling, die gerade ein Lernprojekt im Intranet aufbaut. Im Laufe der Wochen stellen beide fest, dass sich ihre Ziele überschneiden und beginnen, gemeinsam einen internen Lernpfad zu entwickeln. Beide profitieren davon, obwohl sie in völlig unterschiedlichen Abteilungen arbeiten. Es ist nicht das Ziel, das sie verbindet – es ist die Offenheit.


 

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